Tief durchatmen, die Familie kommt – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2024)

3sat, 21.12.2023, 20:15 Uhr - Wiederholung

Sawatzki, Milberg, Halmer, Schorn, Löbau, Vivian Naefe. Beziehungsratgeberkomödie

Rainer Tittelbach
Alle Jahre wieder. Vivian Naefes „Tief durchatmen, die Familie kommt“ nach dem Roman von Andrea Sawatzki erzählt von der Sehnsucht nach Harmonie und Familienfrieden, dem unerfüllbaren Traum nach Perfektion und der glücklosen Teilhabe an einem traditionsreichen Ritual. Dieser Heiligabend verläuft nach dem wohlbekannten Katastrophenprinzip. Eine Schmunzelkomödie mit Wiedererkennungswert, dramaturgisch mit Schwächen, ohne großen Tiefgang und so richtig witzig ist das Ganze auch nicht. Kurzatmige Pointen dominieren über strukturelle Komik. Dafür sind die Schauspieler passend gecastet und geben ihr Bestes!

Tief durchatmen, die Familie kommt – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (1)

Foto: ZDF / Nik Konietzny

Alles bleibt mal wieder an Gundula (Andrea Sawatzki) hängen. Aber schließlich will ja auch sie ein perfektes Weihnachtsfest ausrichten. Einmal muss es doch klappen!

Gundula (Andrea Sawatzki) hat sich für dieses Weihnachten viel vorgenommen: „Ich will, dass dieses Jahr mal alles klappt.“ Und dann ist doch alles nur wieder so wie immer. Schon bei den Vorbereitungen läuft gar nichts rund. Ehemann Gerald (Axel Milberg) hört lieber seine geliebten Schlager, als der Gattin zur Hand zu gehen. Die muss den Christbaum holen, die Bio-Enten – und zu ihrem Atemtherapeuten (Uwe Ochsenknecht) will sie auch noch kurz. Und dann stehen schon die ersten Gäste vor der Tür: ihr Nervensägenbruder Hadi (Stephan Grossmann), gesundheitlich mal wieder unpässlich, mit seiner nicht minder penetranten Frau Rose (Eva Löbau). Bald darauf folgen Gundulas verbiesterte Mutter Ilse (Christine Schorn) und ihr Vater Edgar (Günther Maria Halmer), dessen Alzheimer-Erkrankung teils zur Sorge, teils zur Erheiterung beiträgt. Zwischen all den Erwachsenen freut sich allenfalls Sohn Matz (Claudio Schulte) auf die Bescherung, während Ricarda (Amber Marie Bongard), die Teenager-Tochter des Hauses, am liebsten sofort das Weite suchen würde – wäre da nicht Opa, der ihr ständig Zehn-Euro-Scheine zusteckt. Und als Letzte wie immer rauscht Geralds feierfreudige und trinkfeste Mutter Susanne (Judy Winter) ein. Fröhliche Weihnachten!

Tief durchatmen, die Familie kommt – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2)

Foto: ZDF / Nik Konietzny

Leben so ziemlich aneinander vorbei: Gerald (Milberg) und Gundula (Sawatzki)

Alle Jahre wieder: ein einziges Desaster! Vivian Naefes „Tief durchatmen, die Familie kommt“ nach dem gleichnamigen Roman von Andrea Sawatzki erzählt von der Sehnsucht nach Harmonie und Familienfrieden, dem unerfüllbaren Traum nach Perfektion und der glücklosen Teilhabe an einem traditionsreichen Ritual. Dieser Heiligabend bei Gundula, Gerald & Co verläuft nach dem wohlbekannten Katastrophenprinzip. Eine Gastgeberin, die nichts gebacken kriegt, aber so lang wie möglich den Schein wahren möchte. Ein Ehemann, der sich am liebsten verkriechen würde, wenn die bucklige Verwandtschaft naht. Ein Großvater, der sich da schon mehr traut und im Namen seiner Demenz sich gelegentlich die Freiheit nimmt, das Weite zu suchen. Eine jammernde Großmutter, die bemitleidet werden möchte. Eine zweite Großmutter, die es früher häufig krachen ließ und die auch heute noch gern Tipps für ein zufriedenes Sexualleben gibt. Ein Bruder, der am liebsten aus seinen Selbsthilfebüchern vorliest, und eine Schwägerin, die ihren privaten Frust lange Zeit gut zu verstecken weiß. Ein hoch symbolischer Abend in dieser Konstellation, das kann einfach nicht gut gehen. Da sind ein Weihnachtsbaum, der ständig umfällt, der Durchfall des Bruders, die vom Hund des Hauses gefressenen Bio-Enten und der angebrannte Rotkohl noch das geringste Problem.

Soundtrack: Nana Mouskouri („Guten Morgen, Sonnenschein“), Melina Mercouri („Ein Schiff wird kommen“), Tony Holiday („Du bist so heiß wie ein Vulkan“), Vicky Leandros („Dann kamst du“), Bee Gees („Night Fever“)

Die ZDF-Komödie projiziert die Psychologie des Weihnachtsfests auf ein ganz normales Ehepaar: Sie eine unzufriedene Hausfrau, die ihren Atemtherapeuten anhimmelt, er ein Finanzbeamter, der sich sein Leben mit Schlagern schön hört. Projiziert werden dabei gleichsam alle erdenklichen Klischees darüber, was Männer und Frauen auszeichnet und wie Beziehungen vorbildlich gegen die Wand gefahren werden. Warum also Frauen oft nichts geregelt kriegen und Männer auch nur klugscheißen können oder so ähnlich... Autor Mathias Klaschka gelingt es nicht, aus den Figuren eine Geschichte zu machen. Zwar ist ein Großteil der rabatzig komischen Momente für den Zuschauer sicherlich anschlussfähig – aber eben nur an Situationen. Und so wird „Tief durchatmen, die Familie kommt“ zu einem Abriss geschlechtsspezifischer Gemeinplätze. Der Film bündelt allzu menschliche Problemlagen, überhöht sie planlos und lässt sie dadurch ins Leere laufen. Der Atemtechnik zum Trotze – tief ist hier gar nichts! Nicht nur die Figuren, auch der Autor dreht sich im Hamsterrad. Und auch die Komik verkauft sich an kurzatmige Pointen. „Was sollen wir denn jetzt an den Baum hängen?“ Antwort: „Ich würde sagen: deinen Bruder.“ Frage – Antwort, Rede – Gegenrede: mehr entwickelt sich nicht, allenfalls ein stiller Gedanke der Heldin: „Es heißt ja, Weihnachten sind die Selbstmordraten am Höchsten. Ich frage mich, wie es mit den Mordraten aussieht.“

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Foto: ZDF / Nik Konietzny

Gundula (Sawatzki) träumt sich in die Arme ihres Atemtherapeuten (Ochsenknecht).

Brüllend komisch ist das alles nicht. Früher nannte man so etwas gern „turbulent“. Ob der wunderbaren Schauspieler ist das Ganze allerdings schon ein hübscher Schmunzelreigen – aber eben nicht mehr. Dafür sind die Situationen einfach zu vorhersehbar – so wie das betuliche Innehalten der Hauptfigur auf der Schlussgeraden des Films, das die emotionale Wende einläutet. „Merkst du denn gar nichts; unsere Ehe ist am Ende“, lautet die „große“ Erkenntnis 20 Minuten vor Schluss. Die Hölle sind also doch nicht die Anderen?! Da halsen sich offenbar zwei die Familie auf, um nicht der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Und aus ähnlichen Gründen kommen wohl auch die anderen alle Jahre wieder, obwohl doch keiner miteinander so richtig kann. Damit wird dieser Chaos-Komödie zwar am Ende dann doch noch eine Haltung mitgegeben, aber auf diese Alles-wird-gut-Moral hätte man als Zuschauer auch gern verzichten können. So entpuppt sich „Tief durchatmen, die Familie kommt“ schlussendlich als moralinsaure Ratgeberkomödie, die mit einem kaum wahrnehmbaren Augenzwinkern ihr kleinbürgerliches Happy End einläutet. (Text-Stand: 20.11.2015)

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Foto: ZDF / Nik Konietzny

Sorge um den Papa (Halmer), der bisweilen die eigene Tochter nicht wiedererkennt.

Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, zehn Jahre FSF-Prüfer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr


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Tief durchatmen, die Familie kommt
ZDF / Fernsehfilm / Komödie
EA: 21.12.2015, 20.15 Uhr (ZDF)
Mit Andrea Sawatzki, Axel Milberg, Christine Schorn, Günther Maria Halmer, Eva Löbau, Stephan Grossmann, Judy Winter, Uwe Ochsenknecht, Amber Marie Bongard
Drehbuch: Mathias Klaschka – nach dem Roman von Andrea Sawatzki
Regie: Vivian Naefe
Kamera: Peter Döttling
Szenenbild: Patrick Steve Müller
Schnitt: Robert Rzesacz
Musik: Martin Probst
Produktionsfirma: Ziegler Film
Quote: 6,54 Mio. Zuschauer (20,3% MA); Wh. (2017): 5,90 Mio. (18,4% MA)


Bewertung: 3,5 von 6


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